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Kühe machen Mühe: Bundeskartellamt nimmt Genossenschaften ins Visier

  • 22.06.2017
  • Aus dem Verband

Seit April 2016 führt das Bundeskartellamt ein Verfahren zu den Lieferbedingungen für konventionell erzeugte Rohmilch. Es wird gegenwärtig als Musterverfahren gegen die größte deutsche Molkerei, die Deutsches Milchkontor eG, geführt. Sollte das Bundeskartellamt die Vorwürfe bestätigt sehen, kann das Verfahren auf weitere Molkereien ausgedehnt werden. Dadurch sind die bäuerlich-genossenschaftlichen Molkereistrukturen gefährdet. Die jüngst im Sachstandspapier vorgelegten Empfehlungen stellen einen massiven Eingriff in das bewährte demokratische gesellschaftsrechtliche Gefüge der Genossenschaft dar. Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, im Interview.

Herr Mundt, das Bundeskartellamt schreibt in seinem Bericht zum „Sachstand im Verfahren zu Lieferbedingungen für Rohmilch“ aus März dieses Jahres, dass die Erzeuger den Molkereien „strukturell“ unterlegen seien. Aus einer Untersuchung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) geht jedoch hervor, dass die Mehrheit der Erzeuger, insbesondere kleinere und mittlere Betriebe, das genossenschaftliche Modell in den Milchlieferbeziehungen bevorzugt. Wie stehen Sie zu diesem Widerspruch?

Ich sehe hier keinen Widerspruch. Auch wir sehen den besonderen Wert und die vielen Vorteile von Genossenschaften, gerade in der Landwirtschaft. Die Genossenschaften verschaffen den Kleinen Chancen im Wettbewerb mit den Großen, die sie sonst nicht hätten. Unsere Ermittlungen im Bereich Milch zeigen aber, dass das Interesse der Erzeuger und das Interesse der Genossenschaft nicht immer deckungsgleich sein müssen. Die Verträge zwischen Erzeugern und Molkereien weisen in der Regel lange Kündigungsfristen und Laufzeiten auf und die Landwirte werden dazu verpflichtet, ihre Milch ausschließlich bei ihrer Molkerei abzuliefern. Der Milch-Auszahlungspreis wird meist erst nach der Lieferung festgesetzt und orientiert sich an Referenzpreisen und Marktinformationssystemen. Mir scheint es, als ob es in diesem System vor allem der Milchbauer das Risiko trägt.

In der Studie der CAU wird auch deutlich, dass die Mehrzahl der Befragten nicht bereit ist, für eine Lockerung der Andienungspflicht eine Minderung der Abnahmegarantie in Kauf zu nehmen. Das Bundeskartellamt sieht keine Verflechtung zwischen diesen beiden Komponenten, jedoch in der Andienungspflicht potentiell ein kartellrechtliches Problem. Erkennen Sie nicht, dass diese Kombination beider Aspekte erst die Grundlage für die genossenschaftliche Solidarität bildet? Denn nur so haben abgelegene und kleine Erzeuger eine Chance, ihre Milch an Genossenschaften zu denselben Preisen zu verkaufen wie große und zentral gelegene Erzeuger?

Die Andienungspflicht verbunden mit langen Kündigungsfristen beschränkt die Wechselmöglichkeiten und kann zu einer Marktabschottung führen. Die Wechselquote lag 2015 nur bei ein Prozent der gesamten Rohmilchmenge. Da müssen wir uns schon fragen, ob das im Sinne aller Beteiligter sein kann. Wir wissen, wie wichtig vielen Landwirten die Abnahmeverpflichtung ist und dass Rohmilch nach zwei, spätestens drei Tagen verarbeitet werden muss. Letztlich muss jede Ausgestaltung der Vertragsbedingungen sicherstellen, dass Erzeuger auch in Krisenzeiten nicht ohne Abnehmer dastehen. Jedenfalls verhindern die derzeitigen Lieferbedingungen nicht, dass es gerade zu Lasten der Erzeuger immer wieder zu Milchkrisen kommt. Insoweit ist eine Überprüfung der Verträge auch im Hinblick auf mögliche Verbesserungen des Mengenmanagements doch sinnvoll, oder?

Es gibt viele Möglichkeiten, die Sicherheit für die Erzeuger zu gewährleisten. Insbesondere Erzeugergemeinschaften könnten zu einer Risikominimierung beitragen. Mit der Veröffentlichung unseres Sachstandspapiers wollen wir eine Diskussion mit den Marktteilnehmern über mögliche Lösungen anstoßen.

In der von Ihnen genannten Studie steht übrigens auch, dass sich viele der befragten Genossenschaftsmitglieder kürzere Kündigungsfristen wünschen und die Molkerei wechseln wollen.

Das Gleichgewicht zwischen Annahme- und Andienungspflicht ist Voraussetzung für langfristige Planungssicherheit bei den Genossenschaften als Eigentum der Landwirte. Wie sollen die genossenschaftlichen Molkereien noch langfristige Investitionen sicherstellen, wenn dieses Gleichgewicht verloren geht?

Ob ein solches Gleichgewicht tatsächlich geboten ist, muss auch diskutiert werden. Einige private Molkereien investieren beispielsweise auch ohne ein solches Gleichgewicht. Zudem wird eine Molkerei sicherlich davon erfahren, wenn sich im Kreise der Genossen Unmut über ihre Auszahlungspreise aufbaut. Sie wird sich dann im Wettbewerb um ihre Erzeuger bemühen müssen. Dass dies grundsätzlich auch mit kurzen Kündigungsfristen möglich ist und auch dann Investitionen erfolgen, zeigen die Beispiele von FrieslandCampina und Arla. Wenn die Genossenschaften ihrem eigenen Anspruch gerecht werden, die beste Verwertung der Milch für ihre Erzeuger zu bieten, brauchen sie den Wettbewerb nicht zu fürchten.

All dies schwächt die Genossenschaften gegenüber dem hochkonzentrierten Einzelhandel auf gesättigten Märkten. Schon jetzt erkennen wir gerade bei der Milch, wie sehr Molkereien und Erzeuger gegenüber dem Handel in einer schwachen Position stehen. Wird sich diese Position weiter verschlechtern?

Unser Ziel ist es Genossenschaften und Erzeuger zu stärken. Alternative Modelle mit festen Liefervolumen und festen Preisen können den Molkereien in ihrer Mengensteuerung helfen und damit ihre Verhandlungsmacht gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel stärken.

Die Nachfragemacht des Lebensmitteleinzelhandels ist ein sehr wichtiges Thema für uns. Das betrifft nicht nur die Milch, sondern sehr viele Produkte. Vier große Unternehmen - Edeka, Rewe, Aldi sowie die Schwarz Gruppe mit den Lidl-Märkten und Kaufland – kontrollieren 85 Prozent des Beschaffungsmarktes. Leider nimmt diese Konzentration, auch nach der Ministererlaubnis im Fall Edeka/Tengelmann, weiter zu, sodass die Beschwerden der Lieferanten sicherlich nicht weniger werden. Wir haben auch ein Missbrauchsverfahren gegen Edeka geführt und in einer Verfügung das „Rosinenpicken“ bei den Lieferkonditionen nach einer Fusion untersagt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf ist uns leider nicht gefolgt. Nun wird der Bundesgerichtshof hierüber entscheiden müssen. Parallel hat auch der deutsche Gesetzgeber mit der aktuellen Novelle des Kartellrechts eine Verschärfung der Missbrauchsaufsicht auf den Weg gebracht.

Wie stellen Sie sicher, dass die Mitarbeiter des Bundeskartellamtes die Wirkungsweise von Genossenschaften als Selbsthilfeeinrichtungen der Erzeuger, als demokratisch verfasste Unternehmen und solidarische Organisationen durchdringen?

Wir haben bei uns im Bundeskartellamt sehr gut ausgebildete und erfahrene Juristen und Ökonomen. Wir kennen den Milchmarkt und auch das Genossenschaftswesen sehr gut. Da wird nicht aus einem Elfenbeinturm in Bonn heraus entschieden, sondern unsere Bewertungen fußen auf intensiven Analysen der betroffenen Branche. Wir führen zahlreiche Gespräche mit unterschiedlichen Akteuren. Vor einigen Jahren haben wir im Rahmen einer breit angelegten Sektoruntersuchung eine eingehende Analyse der Milchwirtschaft von der Beschaffung der Rohmilch über die Molkereiwirtschaft bis hin zum Lebensmitteleinzelhandel durchgeführt.

Letztlich sind Genossenschaften aber – zumindest aus kartellrechtlicher Perspektive – Unternehmen wie andere auch. Die Genossenschaft ist ohne Zweifel eine wichtige Rechtsform, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Aus kartellrechtlicher Sicht spielt es keine Rolle, ob ein wettbewerbswidriges Verhalten auf einer demokratischen Entscheidung innerhalb des Unternehmens basiert oder nicht. Die Wettbewerbsbehörden in Schweden und Dänemark sowie die Europäische Kommission haben in kartellbehördlichen Verfahren Zusagen von genossenschaftlichen Molkereien (Arla, FrieslandCampina) erhalten, die das Verhältnis zu ihren Mitgliedern betreffen. Die deutsche und europäische Praxis zeigt, dass das Kartellrecht unstreitig auch für Genossenschaften gilt und sich diese dem auch stellen. Es gibt im Kartellrecht allerdings weitgehende Ausnahmeregelungen für landwirtschaftliche Erzeuger. Die Rechtsform ist hier aber nicht ausschlaggebend.

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