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Fachbeitrag: To share or not to share? – wie Energiegenossenschaften in Deutschland sich organisatorisch verändern müssen, um vom Energy Sharing zu profitieren

  • 07.09.2023
  • Aus dem Verband

Prof. Dr. Björn Hoops, LL.M., Lehrstuhlinhaber für Privatrecht und Nachhaltigkeit der Universität Groningen und Marie Curie Fellow an der Universität Turin, forscht derzeit zu Energiegenossenschaften in Deutschland. In Rahmen dieses Forschungsprojektes war auch der Genossenschaftsverband beteiligt als Gesprächspartner und Impulsgeber. Seine Forschung greift auch auf Umfragen unter unseren Mitgliedsgenossenschaften zurück. Wir freuen uns, Ihnen auf unserer Website exklusiv diesen rechtlichen Exkurs von Prof. Hoops zu Energiegenossenschaften zur Verfügung zu stellen.


Björn Hoops

Energiegenossenschaften liefern durch den Zubau erneuerbarer Energieleistung und die Beteiligung von Bürger*innen einen unentbehrlichen Beitrag zur Durchführung und Akzeptanz der Energiewende. Die EU greift ihnen mit der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (2018/2001) und der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (2019/944) unter die Arme. Alle Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften und Bürgerenergiegemeinschaften das Teilen von Energie (Energy Sharing) und andere Vorteile einzuräumen. Eine empirische Analyse der Organisation von Energiegenossenschaften zeigt jedoch, dass Energiegenossenschaften sich zuweilen noch erheblich an EU-Vorgaben anpassen müssen, bevor sie in den Genuss des Energy Sharing und anderer Vorteile kommen können.

Energiegenossenschaften sind eine Erfolgsgeschichte in und für Deutschland. Sie machen den Energiemix grüner durch den Zubau von Biomasseanlagen sowie von Solar-, Wasser- und Windkraft und stärken die Akzeptanz der Energiewende durch die Beteiligung normaler Bürger*innen an deren Durchführung und Früchten. Rund 20% des Stroms aus erneuerbaren Energien wird von Energiegenossenschaften und ähnlichen Bürgerenergieinitiativen ins öffentliche Netz eingespeist. Der Zugang zum Energiemarkt ist jedoch mit hohen Hürden verbunden und Energiegenossenschaften bleiben gegenüber den größeren und finanziell stärkeren traditionellen Energieversorgern im Nachteil. Auch das Idealbild der gemeinschaftlichen Selbstversorgung können die Energiegenossenschaften ohne ein eigenes Netz nicht erreichen. Im Solarpaket I der Bundesregierung wird nun die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung mit Solarstrom aufgegriffen. Das Teilen von Energie (Energy Sharing) über das öffentliche Netz bleibt aber zumindest bis zu einem möglichen Solarpaket II unmöglich.

Die EU möchte es Bürger*innen, die zusammen erneuerbare Energie erzeugen und vertreiben, ermöglichen, leichter Zugang zum Energiemarkt zu erhalten und die erzeugte Energie über das öffentliche Netz untereinander zu teilen. Diese Punkte sind in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (2018/2001) und der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (2019/944) festgelegt. Von den Vorteilen der Richtlinien können jedoch nicht unbedingt alle Formen von Bürgerenergie und auch nicht alle Energiegenossenschaften profitieren. Im Strombereich müssen sie entweder Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften oder Bürgerenergiegemeinschaften sein; im Wärmebereich müssen sie Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften sein.

Die Richtlinien stellen Anforderungen an den Zweck, die Mitgliedschaft, die tatsächliche Kontrolle über die Energiegenossenschaft und die finanziellen Beiträge der Mitglieder, bevor Energiegenossenschaften Energiegemeinschaften im Sinne der Richtlinien sein können. Grund genug für mich nachzugehen, ob deutsche Energiegenossenschaften diesen Anforderungen entsprechen. Ist dies der Fall, können sie ihre Organisation belassen, wie sie ist, und den deutschen Gesetzgeber zu einer Umsetzung der Richtlinien drängen. Ist dies nicht der Fall, kommt möglicherweise ein organisatorischer Umbau der Energiegenossenschaften auf uns zu, um doch noch von den Richtlinien profitieren zu können.

Für diese Untersuchung habe ich Satzungen von 570 deutschen Energiegenossenschaften, in denen Bürger*innen sich an der Erzeugung erneuerbarer Energie beteiligen, ausgewertet und 127 Antworten von größtenteils Energiegenossenschaften auf einen Fragebogen zu ihrer internen Organisation analysiert. Die Ergebnisse zeigen, dass auf wenige Energiegenossenschaften größere Umbaumaßnahmen zukommen, während viele Energiegenossenschaften kleinere Änderungen werden vornehmen müssen.

Die Richtlinien fordern, dass finanzieller Gewinn nicht vorrangiges Ziel einer Energiegemeinschaft sei. Stattdessen müssen ökologische, wirtschaftliche oder soziale Vorteile für Mitglieder oder deren Umgebung im Vordergrund stehen. Diese Anforderung stellt für die meisten Energiegenossenschaften kein Problem dar. 21 der 570 untersuchten Energiegenossenschaften (3,7%) müssen jedoch an ihrer Satzung arbeiten, weil der Vertrieb der erzeugten Energie als einziger Zweck in der Satzung niedergelegt ist und keiner der geforderten Vorteile in der Satzung vorkommen.

Freiwilligkeit ist eine wichtige Anforderung an die Mitgliedschaft der Energiegemeinschaften. Freiwillig bedeutet auch, dass Mitglieder die Energiegemeinschaft wieder verlassen können. Beinah alle Energiegenossenschaften legen ihnen hierfür jedoch Steine in den Weg. Alle Satzungen bis auf eine lassen eine Übertragung der Anteile mit Zustimmung des Vorstands zu. Sollte es aber keine Interessierten geben, ist das Mitglied auf ein Kündigungsrecht angewiesen. Hier liegt der Hase im Pfeffer. Die Hälfte der Energiegenossenschaften hantieren eine Kündigungsfrist von zwei Jahren oder länger, knapp 20% sogar eine Kündigungsfrist von fünf Jahren. Von Freiwilligkeit kann dann keine Rede mehr sein. Daraus folgen dringende Umbaumaßnahmen in den Satzungen der Energiegenossenschaften.

Die tatsächliche Kontrolle über Energiegenossenschaften kann in einigen wenigen Energiegenossenschaften zu Problemen führen. Der Vorstand leitet die Energiegenossenschaft. In der Regel haben die Mitglieder selbst oder über den von ihnen gewählten Aufsichtsrat Kontrolle über die Zusammensetzung des Vorstands. Bei 14 der 570 untersuchten Energiegenossenschaften (2,5%) schreibt jedoch die Satzung vor, dass die örtlichen Stadtwerke oder eine öffentlich-rechtlich verfasste Bank einen entscheidenden Teil des Vorstands bestimmt. Diese Unternehmen sind jedoch gemäß der Richtlinien von der tatsächlichen Kontrolle oder sogar von der Mitgliedschaft auszuschließen. In der Gefahrenzone sind auch mindestens 38 der 127 Energiegenossenschaften (ca. 30%), die den Fragebogen beantwortet haben. In Ihrem Vorstand haben entweder Mitglieder außerhalb der Region oder Vertreter wichtiger Gläubiger oder mittlerer bzw. großer Unternehmen die Hälfte oder mehr der Stimmen im Vorstand. Damit haben Personen und/oder Körperschaften direkt oder indirekt entscheidenden Einfluss auf die Energiegenossenschaft, wohingegen eine oder beide Richtlinien diese Personen oder Körperschaft von der tatsächlichen Kontrolle ausschließt.

Bei Energiegenossenschaften, vor allem außerhalb des Strombereichs, könnten Probleme wegen der Kosten einer Beteiligung an der Genossenschaft auftreten. Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie verpflichtet Mitgliedstaaten darauf, dass Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften auch bedürftigen und einkommensschwachen Haushalten offenstehen müssen. Ein Blick in die Satzungen verrät, dass lediglich 28,4% der Energiegenossenschaften eine Mindesteinlage von 100 Euro oder weniger einfordern. Bei 53,7% der Energiegenossenschaften liegt die Mindesteinlage bei 500 Euro oder mehr. Ratenzahlungen sehen lediglich 33 der 570 untersuchten Satzungen vor. Dies macht es für benachteiligte Haushalte schwierig, sich an Energiegenossenschaften zu beteiligen, und schließt Energiegenossenschaften möglicherweise vom Status der Erneuerbaren-Energie-Gemeinschaft aus.

Diese Zusammenfassung der wichtigsten Engpässe zeigt auf, dass eine große Zahl der deutschen Energiegenossenschaften Gefahr läuft, zumindest nicht sofort in den Genuss des Energy Sharing oder anderer Vorteile der EU-Richtlinien zu kommen. Diese Energiegenossenschaften müssen abwägen, ob diese Vorteile die nötigen Umbaumaßnahmen rechtfertigen. Ein anderer Weg führt nach Berlin. Der deutsche Gesetzgeber hat bisher weder Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften oder Bürgerenergiegemeinschaften in deutsches Recht umgesetzt. Eine gewisse Freiheit der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinien und verstärkte Lobbyarbeit bieten Möglichkeiten, mehr Energiegenossenschaften unter den Schutz der Richtlinien zu bringen.

Björn Hoops ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Nachhaltigkeit an der Universität Groningen in den Niederlanden sowie Marie Curie Fellow an der Universität Turin in Italien. Dieser Blog basiert auf dem Forschungsprojekt „Private Law and the Energy Commons“, das im Rahmen des Horizon 2020 Forschungs- und Innovationsprogramms der Europäischen Union unter der Marie Skłodowska-Curie Finanzhilfevereinbarung Nr. 101024836 finanziert wird.

Sprechen Sie hierzu gerne an:

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