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Französischer Notenbankchef: Niedrigzins wird fortbestehen, auch infolge deutscher Konjunkturabkühlung – Wirtschaftstag 2019

  • 14.11.2019
  • Pressemitteilungen

Frankfurt. Angesichts sehr niedriger Inflationsraten sind Zinserhöhungen in der Eurozone zunächst nicht zu erwarten. Das prognostizierte François Villeroy de Galhau, Gouverneur der französischen Notenbank, beim Wirtschaftstag 2019 der Volksbanken Raiffeisenbanken am Donnerstag in Frankfurt: „Im Hinblick auf die Konjunkturabkühlung – die allen voran auch Deutschland betrifft – werden und müssen diese kurzfristigen niedrigen Zinsen anhalten.“ Mit Blick auf Kritik von Sparerinnen und Sparern sowie Bankenvertretern bekräftigte er: „Man muss Niedrigzinsen nicht mögen.“ Das niedrige Zinsniveau sei jedoch primär auf „strukturelle Wirtschaftsfaktoren“ zurückzuführen und nicht auf die Geldpolitik.

Abhilfe schaffen könnten „Investitionen und Zukunftsausgaben, einschließlich für Bildung und Ausbildung, die Energiewende und selbstverständlich die neuen Technologien, um das langfristige Wirtschaftswachstum zu fördern“, erklärte Villeroy de Galhau. Hinsichtlich staatlicher Ausgabenpolitik betonte er gleichzeitig: „Meines Erachtens dürfen wir weder eine ‚Transferunion‘ einführen, die nur einigen Ländern zugutekommt, noch Eurobonds, die eine Vergemeinschaftung der Schulden zur Folge haben.“

Was die aktuelle Diskussion um eine mögliche Vergemeinschaftung der Einlagensicherung in der EU betrifft, sprach sich Villeroy de Galhau für eine „pragmatische Lösung“ aus. Allgemein sei die Debatte über die europäische Bankenunion „zu sehr auf dieses eine Element“, die EU-Einlagensicherung, fokussiert. Wichtiger seien aus seiner Sicht vereinheitlichte Insolvenzverfahren für europäische Banken. Ferner sollten Hürden für die Entstehung von grenzüberschreitenden europäischen Bankengruppen ausgeräumt werden.

Die Banken wiederum müssten aktuell die Herausforderung der Digitalisierung meistern, unterstrich Villeroy de Galhau: „Kurzfristig sind die Kosten im Zusammenhang mit Investitionen in Informationstechnologien hoch, während die Rentabilität nur auf mittlere oder lange Sicht gesteigert werden kann.“

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Digitaler Wandel: Neue gesellschaftlichen Ansätze gefragt

Der digitale Wandel betrifft nicht nur Banken, sondern sämtliche Lebensbereiche, unterstrich Ralf W. Barkey, Vorstandsvorsitzender des Genossenschaftsverbandes – Verband der Regionen in seinem Eingangsstatement: „Wir brauchen in der Welt von heute Ansätze, die nicht in der Kategorie von einem Gewinner und vielen Verlierern denken, sondern die alle zu Gewinnern machen.“

Wie hilfreich bei der Digitalisierung unternehmerische Zusammenarbeit sein kann, zeigte im Rahmen einer Podiumsdiskussion Nina Hugendubel, geschäftsführende Gesellschafterin des gleichnamigen Familienunternehmens, auf. Die E-Book-Reader der Marke Tolino als Antwort auf Amazons Kindle hätten mehrere deutsche Buchhandelsunternehmen gemeinsam entwickelt – ein aus Sicht von Hugendubel „bemerkenswerter“ Schritt.

Philipp Justus, Vice President Google Central Europe, wehrte sich indessen gegen Kritik, dass Google bei digitalen Produkten von einer dominanten Marktposition profitiere. Google stehe in einem unwahrscheinlich intensiven Wettbewerb, „auch als großes Unternehmen“. Anhalten werde der Trend, dass Unternehmen IT-Dienstleistungen zunehmend „in die Cloud“ auslagern würden, prognostizierte Justus.

Trotz der zunehmenden Bedeutung digitaler Kommunikation und Kooperation werde die physische Präsenz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Unternehmen jedoch wichtig bleiben, sagte Nora Fehlbaum, Chief Executive Officer des Möbelunternehmens Vitra International, voraus. „Gemeinsame Büros sind wichtig für die Identität der einzelnen Unternehmen.“ Mit alternativen Maßnahmen wie Trainings lasse sich dies nur sehr schwer erreichen.

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2035 könnte jedes zehnte Auto komplett autonom fahren

Auch bei der Mobilität wird die Digitalisierung für Veränderungen sorgen. Das prognostizierte beim Wirtschaftstag Klaus Rosenfeld, Vorstandsvorsitzender des Automobil- und Industriezulieferers Schaeffler. 2035 würden voraussichtlich rund 10 Prozent aller Autos vollständig autonom fahren. Weitere 30 Prozent der Autos würden in 16 Jahren voraussichtlich einen hohen Grad der Automatisierung – aber keine komplette Autonomität – aufweisen.

Was die Antriebstechnologien betrifft, erwartet Rosenfeld nicht, dass Elektroantriebe in näherer Zukunft den Verbrennungsmotor komplett ersetzen werden. Laut Prognosen von Schaeffler werden reine E-Autos 2030 rund 30 Prozent aller Fahrzeuge ausmachen. Weitere 30 Prozent der Autos würden ausschließlich mit Verbrennungsmotoren fahren. Bei den übrigen 40 Prozent werde es sich voraussichtlich um Hybridfahrzeuge handeln, so Rosenfeld.

Schaeffler beliefere Hersteller aller Antriebstechnologien, unterstrich der Vorstandsvorsitzende. Auch für den US-amerikanischen Elektroauto-Pionier Tesla sei Schaeffler ein „kleiner“, aber wichtiger Komponentenlieferant, berichtete Rosenfeld, ohne weitere Details zu nennen. Vor wenigen Tagen hatte Tesla bekannt gegeben, dass das Unternehmen – als seinen ersten Produktionsstandort in Europa – eine Fabrik in Brandenburg bauen will.

Bei Schaeffler selbst sorgte die US-Investmentfirma BDT Capital Partners zur Wochenmitte für Schlagzeilen, da bekannt wurde, dass sie 6,25 Prozent der Unternehmensaktien erworben hatte. BDT habe jedoch nur Vorzugs- und keine Stimmrechtsaktien erworben, da letztere weiterhin komplett in den Händen der Familie Schaeffler lägen, so Rosenfeld. Der Investor beurteile das Unternehmen also offenbar sehr positiv. Rosenfeld wertete dies als „Beleg dafür, dass die Gruppe auf dem richtigen Weg ist.“

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Drohende Konjunkturkrise: Aktive Maßnahmen gefordert

Mit Blick auf die unter anderem vom französischen Notenbankchef zu Beginn der Veranstaltung formulierten Sorgen um die Konjunktur forderte FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg, aktiv Maßnahmen zu ergreifen, um eine Krise „abzuwenden oder mindestens zu lindern“. Als mögliche Schritte nannte sie unter anderem eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags sowie Maßnahmen zur steuerlichen Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen. „Auf den Prüfstand“ sollten darüber hinaus die Unternehmenssteuern. Insbesondere die Abschreibungsregelungen müssten verbessert werden, um verstärkte Anreize für Investitionen im Inland zu schaffen, argumentierte Teuteberg.

Der Forderung nach einer Neustrukturierung der Unternehmensbesteuerung schloss sich Peter Hanker, Vorstandssprecher der Volksbank Mittelhessen, an. Verbessert werden müssten aber auch die Regelungen zur Erbschaftssteuer, da diese heute häufig eine erfolgreiche Unternehmensnachfolge im Mittelstand erschwerten, unterstrich der Bankchef.

Damit die deutsche Wirtschaft auf Dauer zukunftsfähig bleibe, müsse die Politik jedoch auch den Mut zu Investitionen zeigen. Das betonte Jürgen Wache, Vorstandssprecher der Hannoverschen Volksbank. Als besonders wichtige Bereiche nannte er die Mobilität und den hierfür erforderlichen Ausbau der Infrastruktur sowie Datennetze und Bildung.

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Warnung vor politischer Polarisierung

Vor einer zunehmenden Polarisierung in der Politik warnte indessen Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Dies sei insbesondere in den USA zuletzt deutlich geworden. Als Beispiel nannte er das aktuelle Impeachment-Verfahren gegen US-Präsident Trump. Dass dieses tatsächlich dazu führen werde, dass Trump sein Amt aufgebe, halte er für unwahrscheinlich, so Ischinger. Dazu hielten die Mitglieder der republikanischen Partei ihre Reihen viel zu geschlossen – ganz egal, welche Kritik die politischen Gegner an ihrem Präsidenten äußerten. Die USA benötigten daher eine Person, „die das Land wieder vereinigen kann“, so Ischinger.

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Größtes Unternehmertreffen Deutschlands in der Frankfurter Jahrhunderthalle

2.500 Mittelständler kamen auf Einladung der Volksbanken und Raiffeisenbanken zum größten Unternehmertreffen Deutschlands in der Frankfurter Jahrhunderthalle zusammen. Das Motto der Veranstaltung lautet „Die vierte industrielle Revolution: Mensch und Markt in einer neuen Zeit“.

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Pressesprecher Verband

Daniel Illerhaus

Abteilungsleiter Kommunikation, Marketing, Politik

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Referentin Grundsatzfragen Bankaufsichtsrecht

Stefanie Schulte

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