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25 S tädte - und G emeinderat 10/2022 Dorfläden, Schwimmbäder sowie Kultur- und Spor- teinrichtungen. Prinzip der Genossenschaften Die Genossen- schaft ist ein Unternehmen, das die Interessen der Mitglieder fördert. Jedes Mitglied ist zugleich Eigen- tümerin oder Eigentümer sowie Geschäftspartnerin oder Geschäftspartner des Unternehmens. Es profi- tiert unmittelbar von den Leistungen der Genossen- schaft. Durch die Rollenidentität findet in einer Ge- nossenschaft ein permanenter Optimierungsprozess zwischen den Interessen derMitglieder als Unterneh- merinnen und Unternehmer und den Interessen der Mitglieder als Kundinnen und Kunden statt. Wo das eine „Ich“ möglichst hohe Preise wünscht, erwartet das andere „Ich“ möglichst günstige Konditionen. Je- des Mitglied hat unabhängig vom Kapitalanteil eine Stimme. Die Höhe des Eigenkapitals zur Gründung einer Ge- nossenschaft ist abhängig vom Geschäftszweck. Das Eigenkapital müssen die Mitglieder - im Sinne der Selbstverantwortung - selbst aufbringen. Die Haf- tung - wichtig für die Beteiligung von Kommunen an Genossenschaften - kann beschränkt werden. Genossenschaften und Kommunen Speziell aus kommunaler Sicht bietet die genossenschaftliche Rechtsform viele Stärken: • Genossenschaften sind in der Regel auf Langfris- tigkeit und wirtschaftliche Nachhaltigkeit ausge- richtet. Ihre positiveWirkung entfalten sie über die Laufzeit eines Förderprogramms hinaus. • Durch Genossenschaftsgründungen werden neue und zusätzliche Finanzmittel für freiwillige Leis- tungen bereitgestellt. • Unbeliebte Maßnahmen wie Schwimmbad- schließungen können vermieden werden. Findet sich kein hinreichendes Bürgerengagement zum Betrieb oder ist das unternehmerische Risiko zu hoch, ist die Vermittlung negativer Entscheidun- gen deutlich leichter. • Genossenschaften stärken die Demokratie und das Wir-Gefühl vor Ort. Kooperation liegt im Zeitgeist und stärkt das soziale Kapital in der Region. Warum werden dann aber Genossenschaften im Zu- sammenhang mit freiwilligen Leistungen bisher nur selten von kommunalen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern initiiert? Die Gemeinde- ordnung steht genossenschaftlichen Lösungen auf kommunaler Ebene nicht entgegen. Aus Sicht von Kommunalpolitikerinnen und -poli- tikern erschweren drei Aspekte die Gründung von kommunalen Genossenschaften. Erstens ist die Rechtsform in den Kommunalverwaltungen weitge- hend unbekannt. Zweitens entziehen sichGenossen- schaften der Kontrolle durch Kommunalpolitik oder -verwaltung. Unternehmerische Tätigkeit, Gewinn- verwendung, neueMitglieder, Satzungsänderungen, neue Aufgaben - über alles entscheidet die Gesamt- heit derMitglieder, nicht ein einzelner Gesellschafter. Genossenschaften stehen so aus Sicht kommunaler Entscheiderinnen und Entscheider im schlechtesten Fall für Kontrollverlust, im besten für Kontrollver- zicht. Drittens sind Genossenschaftsgründungen nicht Ergebnis politischer Entscheidungen, sondern Resultat eines Überzeugungs- und Moderationspro- zesses zur Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen. Leistbar ist das nur mit Hilfe starker und belastbarer zivilgesellschaftlicher und unternehmerischer Netzwerke. Will man also mehr kommunale Genossenschaften, reicht es nicht, mit dem Finger auf die Kommunal- politik zu zeigen. Man muss stattdessen im genos- senschaftlichen Sinne Selbstverantwortung über- nehmen und im Schulterschluss aller Beteiligten Lösungen umsetzen. Wer diesen Weg wagt, wird erstaunt und begeistert sein, welche Dynamik und Gestaltungskraft vor Ort entsteht. Dies zeigen auch Beispiele aus der Praxis. Medizinische Versorgung vor Ort So hat die Genossenschaft „Ärztehaus Hülsenbusch eG“ im Gummersbacher Ortsteil Hülsen- busch mit einem Neubau ein modernes Ge- sundheitszentrum geschaffen. Mittlerweile haben sich eine Tagespflegeeinrichtung, eine logopädische Praxis und ein Kinder- und Hausarzt eingemietet. In dem Projekt sind viele Einwohnerin- nen und Einwohner engagiert. Sie haben mindestens einen Anteil von 500 Euro gezeichnet und wollen so gemeinsam ihr Lebensumfeld positiv gestalten. Das Ärz- tehaus ist nicht die erste Initiative der Hülsenbuscher Bürgerinnen und Bürger. Mit Genossenschaften wurden bereits eine Kneipe wiedereröffnet und ein Dorf- markt errichtet. Vorstand und Aufsichts- rat der Ärztehaus Hülsenbusch eG überga- ben mit Gummersbachs Bürgermeister Frank Helmenstein (Mitte) und Landrat Jochen Hagt (Mitte rechts) das Gesundheitszentrum im Juni 2020 offiziell seiner Bestimmung FOTO: ÄRZTEHAUS HÜLSENBUSCH EG Die Zukunftspotenziale von Genossenschaften für den ländlichen Raum hat das Zukunftsinstitut kürzlich in einer Studie veröffentlicht

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